Nachweis und Abgeltung von Überstunden im Arbeitsrecht
Jedes Jahr werden in Deutschland zwischen 1,0 und 1,4 Milliarden unbezahlte Überstunden geleistet – also Arbeitszeit ohne Entlohnung oder Freizeitausgleich. Auf den einzelnen Arbeitnehmer heruntergerechnet sind das durchschnittlich drei Überstunden pro Monat!
Die reguläre Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers ist im Arbeitsvertrag rechtsverbindlich festgelegt. Dennoch kann der Vorgesetzte von den Arbeitnehmern in vielen Fällen Mehrarbeit und Überstunden verlangen. In vielen Berufen gehören Überstunden und ggf. der Überstundenabbau sogar wie selbstverständlich dazu. Lesen Sie hier, welche Regeln dafür gelten.
Muss ich Überstunden machen?
Ein Blick in den Arbeitsvertrag, in die Betriebsvereinbarung und ggf. den Tarifvertrag kann Aufschluss über die Anordnung von Überstunden geben. Hier sind meist Regelungen für Überstunden formuliert.
Steht in einem dieser Dokumente, dass der Vorgesetzte unter bestimmten Voraussetzungen Überstunden anordnen kann, so ist der Arbeitnehmer dazu verpflichtet, diese zu erbringen.
Wenn im Arbeitsvertrag kein entsprechender Passus steht und es auch keine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifvertrag gibt, so kann der Arbeitnehmer nur in Ausnahmen, bspw. Katastrophenfällen wie bei einem Brand oder einer Überschwemmung, zu Überstunden verpflichtet werden. Falls es im Unternehmen einen Betriebsrat gibt, muss dieser den Überstunden zustimmen.
Und wenn ja: Wieviele Überstunden sind zumutbar?
Auch wenn grundsätzlich das Recht zur Anordnung von Überstunden gegeben ist: Der Vorgesetzte darf seinen Angestellten nicht Überstunden in unbegrenztem Umfang abverlangen.
Achtung: Sonderregelung bei Minderjährigen!
Minderjährige Arbeitnehmer dürfen grundsätzlich nicht mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten.
Gesetzlich sind 48 Stunden pro Woche erlaubt
Die maximale Wochenarbeitszeit für Arbeitnehmer ab 18 Jahren beträgt 48 Stunden. Bei einem 40-Stunden-Vertrag wären also maximal acht Überstunden pro Woche möglich. Pro Tag beträgt die maximale Arbeitszeit zehn Stunden. In der Regel müssen diese Überstunden innerhalb von sechs Monaten durch Freizeitausgleich bzw. Überstundenabbau ausgeglichen werden.
Kurzfristig kann die Obergrenze - sofern eine entsprechende Ausgleichszeit gewährleistet wird - auf insgesamt 60 Stunden pro Woche angehoben werden,
Wie werden meine Überstunden vergütet?
Hierzu gibt es keine gesetzliche Regelung. Meist ist im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag geregelt, in welcher Form Überstunden vergütet werden. Üblich ist ein Freizeitausgleich über Gleitzeit- und Arbeitszeitkonten (Überstundenabbau). Aber auch eine finanzielle Entlohnung, also die Option, sich die Überstunden auszahlen zu lassen, ist möglich.
Gibt es keine feste Regelung, heißt dies aber im Gegenzug nicht, dass kein Anrecht auf Vergütung besteht.
Wie lange vorher müssen Überstunden angekündigt werden?
Wenn vertraglich nicht geregelt ist, wie lange im Voraus der Vorgesetzte Überstunden ankündigen muss, liegt dies in seinem Ermessensbereich. Das bedeutet, dass Überstunden durchaus auch kurzfristig angeordnet werden können. Der Vorgesetzte kann hier aber nicht willkürlich vorgehen. Mit wenig Vorlaufzeit darf er Überstunden nur anordnen, wenn es nicht absehbar war, dass die Notwendigkeit dafür besteht.
Kurzfristige Anordnung nur bei nicht absehbarem Mehraufwand
Wenn also überraschend ein großer Auftrag eingeht oder plötzlich ein Kollege krankheitsbedingt ausfällt, kann der Vorgesetzte seine Mitarbeiter kurzfristig zu Überstunden verpflichten. Falls der betriebliche Engpass länger absehbar war, beispielsweise auf Grundlage der Urlaubsplanung oder vor dem alljährlichen Weihnachtsgeschäft, muss der Vorgesetzte Überstunden anordnen mit Frist.
Was passiert, wenn der Chef die Überstunden nicht anerkennt?
Grundsätzlich kann ein Arbeitnehmer davon ausgehen, dass seine Überstunden vergütet werden. Anspruch auf Bezahlung der Überstunden hat der Arbeitnehmer aber nur, wenn die Überstunden vom Vorgesetzten angeordnet wurden.
Direkte Anordnung ist Grundlage des Ausgleichsanspruchs
Direkte Anordnung von Überstunden:
Der Vorgesetzte weist den Arbeitnehmer direkt an, länger zu bleiben bzw. eine Aufgabe zu Ende zu bringen, obwohl die reguläre Arbeitszeit bereits erfüllt ist.
Mehrarbeit resultiert aus dem angeordneten Arbeitspensum:
Der Vorgesetzte gibt dem Arbeitnehmer so viel Arbeit, dass er damit unmöglich in der regulären Arbeitszeit fertig werden kann.
Kein Anspruch auf Vergütung bei ”freiwilliger” Mehrarbeit
Wenn der Arbeitnehmer eigenverantwortlich länger bleibt, um seine Aufgaben zu Ende zu bringen, obwohl diese auch noch am nächsten Tag hätten gemacht werden können, hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Überstundenvergütung.
Beweispflicht und Arbeitszeitdokumentation
In der Vergangenheit ergaben sich viele Konflikte aus der strittigen Dokumentation der Überstunden durch Arbeitnehmer und/oder Arbeitgeber. In der Regel reichten selbst geführte Listen des Arbeitnehmers, in denen er Buch über die geleisteten Stunden führte, nicht aus. Die Gegenzeichnung (ergo: Anerkennung) der Überstunden durch den Arbeitgeber als Grundlage für Ansprüche erfolgte aber nicht immer. Dies wurde 2019 grundlegend umgestaltet.
Das Urteil des EuGH zur Arbeitszeitdokumentation 2019
Um sicherzustellen, dass zulässige Arbeitszeiten nicht überschritten werden, hat der europäische Gerichtshof (EuGH) 2019 die Pflicht zur umfassenden Arbeitszeitdokumentation beschlossen. Im Moment gilt diese Verpflichtung in Deutschland noch nicht, da das EuGH-Urteil bisher nicht in ein deutsches Gesetz umgesetzt worden ist. Dies wird voraussichtlich im weiteren Verlauf des Jahres 2020 der Fall sein.
Die Verpflichtung zur Arbeitszeitdokumentation wird die Position von Arbeitnehmern in Streitfällen um Überstunden verbessern, da die entsprechenden Nachweise leichter zu erbringen sind.
Wie erfolgt der Nachweis bei Vertrauensarbeitszeit?
Bei Vertrauensarbeitszeit-Modellen ist der Arbeitnehmer selbst für die Einteilung seiner Aufgaben verantwortlich. Das bedeutet aber nicht, dass er sich selbst Überstunden anordnen und dann auf Vergütung bestehen kann. Auch in der Vertrauensarbeitszeit müssen Überstunden, die sich der Arbeitnehmer vergüten lassen will, vom Vorgesetzten angeordnet werden. Um in einem eventuellen Streitfall nachweisen zu können, dass die Anordnung von Überstunden gegeben war, sollten Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten dokumentieren und monatlich vom Arbeitgeber abzeichnen lassen.
Überstunden bei Teilzeit Arbeitsverträgen - nicht nur eine Frage der Vergütung!
Für Arbeitsverträge, die weniger als 30 Arbeitsstunden pro Woche formulieren, sind keine Überstunden vorgesehen. Die Leistung von Mehrarbeit im Rahmen einer (ohnehin ja bereits reduzierten) Teilzeitstelle machen aus Sicht des Arbeitsrechtes einen Sinn.
Einseitige Anordnung von Überstunden bei Teilzeitbeschäftigten
Dennoch kann es natürlich zur Mehrarbeit aufgrund von Notsituationen kommen. Dazu zählen etwa existenzgefährdende Ereignisse wie Naturkatastrophen, Brände, Überschwemmungen und ähnliches. Hier kann der Arbeitnehmer an die Treuepflicht des Angestellten anknüpfen und einseitig Überstunden anordnen.
Überstunden als Klausel in Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung
Sollen Überstunden auch bei Teilzeitverträgen ermöglicht werden, können Arbeitnehmer und Arbeitgeber ohne Weiteres eine entsprechende Klausel in den Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung aufnehmen. Sie ermöglicht es, Überstunden wie in einem regulären Arbeitsverhältnis (Vollzeit) zu handhaben. Dazu zählt allerdings auch die Voraussetzung, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet oder zumindest stillschweigend anerkannt werden. Vergütung oder Ausgleich erfolgen wie bei einer Vollzeitstelle.
Automatische Änderung des Arbeitsvertrages bei dauerhafter Mehrarbeit
Vor allem bei Teilzeitbeschäftigten ist darauf zu achten, dass Überstunden und Mehrarbeit nicht zur dauerhaften Regelung werden. Fällt ein Mitarbeiter krankheitsbedingt aus oder kommen andere Umstände zusammen, die für eine Teilzeitkraft über Monate oder sogar Jahre das Arbeitspensum kontinuierlich erhöhen, kann dies auf den Vertrag Einfluss haben.
Das Landesarbeitsgericht Hamm entschied 2006 (Az. 8 Sa 2046/ 05), dass es zu einer stillschweigenden Änderung des Arbeitsvertrages kommt, wenn der eigentlich in Teilzeit angestellte Mitarbeiter wegen verstärkten Arbeitsanfalles kontinuierlich stärker eingesetzt wird.
Was gilt für Überstunden bei einem 450-Euro-Job?
Grundsätzlich können Überstunden auch bei einem 450-Euro-Job anfallen. Wird die 450-Euro-Grenze nur gelegentlich und aufgrund unvorhersehbarer Umstände überschritten, bleibt dies ohne Auswirkungen. Wenn ein 450-Euro-Jobber aber häufiger über die Grenze von 450 Euro kommt oder kein unvorhersehbares Ereignis Grund für die Mehrarbeit war, so ist es möglich, dass der Betriebsprüfer das Arbeitsverhältnis nicht mehr als 450-Euro-Job anerkennt – und zwar auch rückwirkend. Dann werden teure Nachzahlungen fällig.